Das Symposium „Intersex-Kontroversen“ am 22.11.2017 war bereits das zweite Symposium des gleichnamigen Projekts der HOOU. Die Resonanz war groß und der Festsaal des Erika-Hauses am UKE in Hamburg ausgebucht. Prof. Peer Briken, Direktor des Instituts für Sexualforschung am UKE eröffnete die Veranstaltung. Dass so viele der Einladung folgten, freute die Initiatorin Dr. Katinka Schweizer. Sie stellte das gastgebende Projekt und alle Gäste vor und moderierte durch den Nachmittag.
Erfahrungswissen und Kunst – Augenöffner & Blickfelderweiterungen
Lucie Veith würdigte den Wandel der Zeit: Früher seien die Erfahrungsexpert_innen höchstens geduldet gewesen bei Veranstaltungen wie dieser, heute würden sie eingeladen, Grußworte zu sprechen. Der Sozialpsychologe Prof. Peter Hegarty zeigte neue Forschungsergebnisse zu Wissen und Einstellungen zu Intergeschlechtlichkeit aus England und den USA. Prof. Hertha Richter-Appelt erläuterte die neuen AWMF-Leitlinien (2016) und gab Einblicke in den mehrjährigen Aushandlungsprozess.
Der Künstler Fabian Vogler berichtete von seiner bildhauerischen Arbeit zum Intersex-Thema. Er stellte das Kunst Buch Projekt „Die Schönheiten des Geschlecht. Intersex im Dialog“ vor, das im Frühjahr 2018 erscheinen wird. Er brachte eigens für die Veranstaltung fünf Bronze-Skulpturen mit, die dem Festsaal weiteren festlichen Glanz verliehen und zum Betrachten einluden. Deutlich zeigten sie die Freude des Künstlers darüber, dass es mehr als Mann und Frau gibt.
Rechtliche Wege, Kritik an Operationen und Tipps für Kliniken
Die_der Aktionskünstler_in und Fotograph_in Del LaGrace Volcano rief dazu auf, endlich frühe, nicht notwendige „geschlechtsangleichende“ medizinische Maßnahmen zu unterlassen, damit intergeschlechtlich geborene Kinder eine unbeschwerte Beziehung zu ihren Körpern entwickeln können.
Ein besonderes Glück und Ehre zugleich war es, die Juristin Prof. Konstanze Plett für ein Kurzstatement zum Beschluss des Bundesverfassungsgerichts zum 3. Geschlecht zu gewinnen. Plett war Mitautorin der zugrundeliegenden Verfassungsbeschwerde. Sie gab einen Ausblick auf das Jahr 2018 und den praktischen Hinweis, dass bereits heute Anträge für einen dritten Geschlechtseintrag gestellt werden können – auch wenn über diese Anträge erst aufgrund des bis Ende 2018 zu erlassenden Gesetzes zu entscheiden ist.
Bei dem abschließenden Podiumsgespräch wirkten drei Elternvertreter_innen, die Ärztinnen Prof. Margit Fisch und Dr. Esther Schulz sowie der Ethikerin Dr. Katharina Woellert mit. Viele der Kontroversen konnten nur angerissen werden – z.B. der medizinische Sprachgebrauch wie „Anomalien“ oder „Abweichungen“ statt „Variationen“, die Klassifikation und fragliche Notwendigkeit von Genitaloperationen beim Adrenogenitalen Syndrom (AGS) und Hypospadien – doch allein dafür ein Forum zu haben ist wichtig und leider sehr selten. Beeindruckend war es, aus dem Alltag von Familien mit intergeschlechtlichen Kindern zu hören, dass es durchaus möglich und „undramatisch“ ist, offen mit Intergeschlechtlichkeit umzugehen. Die Eltern berichteten von ihren guten und schwierigen Erfahrungen mit dem eigenen Umfeld, der Medizin und der fehlenden Beratung ganz am Anfang. Hilfreich seien oft kleine Gesten gewesen: Dass mir der Arzt nach der Geburt zu meinem gesunden Kind gratulierte, und die noch nicht sichere Geschlechtsbestimmung in den Hintergrund trat.
Folgenreich könnte dieser Eltern-Wunsch aus der Podiumsdiskussion sein: Kompetenz- und DSD-Zentren sollten damit werben, dass bei ihnen „nicht operiert“ wird – wenn keine vitale oder funktionale Not besteht. Auf deren Websites könnte stehen: „Wir führen keine irreversiblen, medizinisch nicht notwendigen Maßnahmen ohne höchstpersönliche Zustimmmung an Ihrem Kind in unserem Haus durch!“ – eine Werbeidee, die Schule machen könnte!
Die Auswertung ergab große Zufriedenheit der Teilnehmenden insbesondere mit der Themenwahl, Perspektivvielfalt, Interdisziplinarität und Offenheit, sowie Begeisterung über die Einbindung von Kunst und Erfahrungswissen in die wissenschaftliche Debatte an einem Universitätsklinikum. Bedauert wurden die zeitlichen Grenzen. Dank gilt allen Mitwirkenden, Gästen und Helfer_innen und den teilnehmenden Medienvertreter_innen. Vom Symposium berichtete am 1.12.2017 das Wissenschaftsmagazin LOGO auf NDR Info.