Kontroverse Reaktionen auf den Gesetzesentwurf

Der neue Gesetzesentwurf bezüglich der Änderung des Personenstandsgesetzes (PStG), der dem Bundesrat am 7. September 2018 vorgelegt wurde, hat in den letzten Wochen unterschiedliche Reaktionen hervorgerufen (eine Zusammenfassung vom Entwurf findet sich im Blogbeitrag vom 6. November 2018, der Entwurf findet sich unter diesem Link).

Josch Hoenes von der Bundesvereinigung Trans*, einem Interessensverband für geschlechtliche Vielfalt und Selbstbestimmung , hat eine Kampagne gegen den vorliegenden Gesetzesentwurf ins Leben gerufen. Bei einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung (SZ) vom 11. November 2018 äußerte Hoenes, dass die im Gesetzesentwurf geforderte ärztliche Nachweispflicht zur Änderung des Eintrages im Geburtenregister aus vielerlei Gründen unangemessen sei. Zum Einen gehe geschlechtliche Vielfalt über körperliche Geschlechtsmerkmale hinaus und sollte unabhängig davon betrachtet werden. Menschen mit einer Variation der Geschlechtsentwicklung, die nicht „medizinisch nachweisbar“ sei, würden von dem Gesetz ausgeschlossen werden. Außerdem bedeute die Attestpflicht eine erneute medizinische Untersuchung für Menschen, die teilweise Gewalt durch das medizinische System erfahren haben (Hoenes bezieht sich hier vermutlich auf die ungewollten, medizinisch nicht indizierten Operationen am Genitale vom Kind). Hoenes fordert, dass es allen Menschen offenstehen solle, den Geschlechtseintrag im Geburtenregister ohne ärztliches Attest beim Standesamt ändern zu lassen.

Ähnliche Kritikpunkte finden sich in den „Anmerkungen zum Gesetzesentwurf“ von Dr. Jörg Woweries, ehemaliger Kinderarzt in Berlin. In seinen Anmerkungen, die er freundlicherweise diesem HOOU-Blog zur Verfügung stellt, schreibt Woweries, dass der Anteil derjenigen Menschen mit einer Variante der geschlechtlichen Entwicklung, die sich weder weiblich noch männlich fühlen, sehr klein sei. Der neue Gesetzesentwurf biete diesen Menschen noch immer keine Möglichkeit, die Kategorie „weiblich“ oder „männlich“ zu wählen, was eine erhebliche Diskriminierung darstelle. Außerdem führe die Verpflichtung, den Eintrag bei der Geburt offenzulassen oder „divers“ anzugeben, zu einer Zwangs-Offenbarung und Diskriminierung der betreffenden Personen. Die ärztliche Attestpflicht bezeichnet Wowieries als pathologisierend und sinnlos, da es keine diagnostische Methode gäbe, um die Geschlechtsidentität eines Menschen bestimmen zu können. Unter der Geschlechtsidentität verstehen wir das individuelle Erleben, einem Geschlecht anzugehören. Genau wie Hoenes fordert Woweries, dass die Selbsterklärung der geschlechtlichen Identität beim Standesamt ausreichen müsse, um eine Änderung des Eintrags zu erwirken. Anders als Hoenes forder Woweries aber, dass die dritte Option erst im Jugend- oder Erwachsenenalter eingetragen werden sollte, „weil die Einsichtsfähigkeit und Urteilsfähigkeit bei Kindern abgewartet werden muss“.

Auch bei den Parteien stieß der Gesetzesentwurf auf großen Gegenwind. Während der 1. Lesung des Bundestags am 11. Oktober 2018 wurde er fast einstimmig kritisiert und als „Schmalspurlösung“,  „neue Kombination alter Fehler“ und „diskriminierend“ angesehen. Laut FDP und der LINKEN sei die ärztliche Attestpflicht zur Änderung des Eintrages im Geburtenregister eine vergleichbare Diskriminierung wie das Transsexuellengesetz (TSG). Das TSG  ermöglicht es Menschen mit Transidentität oder Transgeschlechtlichkeit in Deutschland seit 1981 eine Personenstands- und/oder Vornamensänderung. Voraussetzung ist jedoch, dass sie sich einem Begutachtungsprozess durch zwei unabhängige Gutachter_innen unterziehen. Das im neuen Gesetzesentwurf zum 3. Geschlechtseintrag vorgesehene Einholen einer ärztlichen Bescheinigung basiere wiederum auf einer externalen Zuschreibung der Geschlechtsidentität, welche durch biologische Merkmale nicht zu erfassen sei, so Elisabeth Kaiser (SPD).

Der Gesetzesentwurf wird aktuell dem Ausschuss für Inneres und Heimat vorgelegt und weiter debattiert.